Geist, Seele und Körper
sind im Idealfall im Einklang, soweit die Theorie. Doch wie oft sind wir tatsächlich überwiegend im Denken, im Kopf, im Funktionsmodus - und vernachlässigen dabei das fühlende Selbst.
Gefühle und Körperwahrnehmungen hängen eng zusammen. Wer kennt das nicht: Wut beschleunigt den Puls, Scham lässt uns erröten, Aufregung bereitet Herzklopfen, Angst verursacht zittrige Knie und Sorgen schlagen auf den Magen. Die Liste ließe sich endlos fortführen. Dabei ist unser System gut darin, seelische Verletzungen aller Art (die uns zugefügt wurden oder die wir uns zuweilen selbst zufügen) über lange Zeit wegzudrücken. Durch diese Art der Verdrängung bzw. Abspaltung schaffen wir es, nach außen im Funktionieren zu bleiben, wir "bewahren Haltung".
Gesellschaft und Erziehung haben Gefühlsäußerungen darüber hinaus lange als "unangemessen" bewertet. Das Wahrnehmen, das eigentlich so wichtige Erleben von Gefühlen (und die daraus resultierende, angemessene Reaktion bzw. gesunde Bewältigung der Situation) wurde uns auf diese Weise Stück für Stück abtrainiert.
Doch emotionale Verletzungen bleiben im Körpergedächtnis gespeichert; werden teils über Generationen auf verschiedenen Wegen (epigenetisch, psycho-sozial, energetisch) in unseren Familiensystemen weitergegeben. Das geschieht so lange, bis sie irgendwann in einem sicheren Rahmen bewusst erlebt, erfahren, gehalten und transformiert werden können. Geschieht das nicht, bleiben Heilungsprozesse egal welcher Art oft stecken. Die Wunde heilt nur oberflächlich. Darunter arbeitet es und entzieht so weiter Energie. Irgendwann fühlen wir uns entweder überhaupt nicht mehr, betäuben uns oder werden von Gefühls-"Ausbrüchen" unkontrolliert überrollt. Noch immer ist alles offen, der Prozess (die Situation) kann nie wirklich abgeschlossen werden. Es entstehen innere Verwerfungen; welche sich seelisch bzw. auch in Form von unterschiedlichsten, körperlichen Beschwerden äußern. Diese manifestieren sich als fester Teil von uns oder als immer wiederkehrende Muster in unseren Familiensystemen.
Berührung bedeutet Kontakt von mindestens zwei unabhängigen Systemen: eine Hand berührt den Arm, der Zeh stößt gegen das Tischbein, ein Freund klopft deine Schulter. Berührung ist ein wesentlicher Teil unseres biologischen Ursprungs. Über sie erfahren wir uns als Individuen. Dabei wäre ohne definierte Grenzen alles eins. Eine Grenze unterscheidet Systeme und wird so gleichzeitig zur Stelle, an der Kontakt erst möglich wird. So sind Grenzen wichtige Voraussetzung für Berührung und somit Quelle von Erfahrungen.
Doch wo verläuft unsere Grenze? Die Haut als größtes Organ stellt die offensichtlichste Grenze zwischen dem SELBST und dem Rest der Welt dar. Doch bleiben Berührungen nicht an der Oberfläche sondern wirken über Nervenbahnen, Muskulatur und Knochen bis in die tiefsten Schichten unseres Organismus. So werden lebenswichtige Informationen weitergeleitet und haben großen Einfluss auf Stoffwechsel, Organe, Nervensystem und unser Gehirn.
Qualität und Häufigkeit von Berührungen stellen einen wesentlichen Faktor für körperliche und seelische Gesundheit dar. Sie wirken nie nur mechanisch, sondern sind auf verschiedene Weise untrennbar mit unsere Emotionen verbunden. Wir sind auf Seelenebene stark berührbar, nicht nur als biologisch funktionierende, sondern auch soziale Wesen. Das Grundbedürfnis nach Berührung begleitet uns das ganze Leben. Durch Körperkontakt vermitteln wir gegenseitig Sicherheit, Halt, Zugehörigkeit, Trost, Geborgenheit, Respekt und zeigen Liebe. Das funktioniert natürlich auch mit Sprache, Gestik, Mimik oder Taten. Doch kaum etwas wirkt auf unser Nervensystem so unmittelbar, als eine von Herzen kommende, authentische Berührung.
Wenn Kontakt/Berührung fehlt: Vermisst ein Baby Berührung, schlägt sein Nervensystem bald Alarm. Kein Körperkontakt bedeutet Todesgefahr durch fehlenden Schutz, Nahrung, Fürsorge. Auch ein kranker oder alter Mensch ist existentiell angewiesen auf die durch Berührung vermittelte Orientierung und das Signal „Du bist nicht allein“. Bleibt dies aus, wird er panisch oder apathisch. Natürlich gäbe es ohne Berührung auch keine Fortpflanzung. Ohne Gemeinschaft können wir dauerhaft nicht überleben. Daher empfinden Menschen jede Art der Ausgrenzung als (lebens-)gefährlich.
Natürlich kann Berührung ebenso verbunden sein mit Schmerz und auch dies hat rein evolutionär seinen Sinn. So sind wir in der Lage, Gefahren zu erspüren und uns möglichst schnell davon abgrenzen. Eng damit verbunden sind Gefühle wie Angst und Wut, da diese uns instinktiv zu biologisch angemessenen Reaktionen verhelfen (Flucht, Starre, Verteidigung). Doch nicht immer gelingt das. Dann kommt es zu schmerzhafte Berührungen und damit Grenzverletzung. Da wir über eine hohe Merk- und Lernfähigkeit, einen aktiven Geist und viel Phantasie verfügen, stellt unser System zudem im "Hier und Heute" eifrig Verbindungen zu vermeintlichen Gefahren her, welche real so nicht (mehr) existieren. Wir stammen außerdem nun mal von jenen Frühmenschen ab, welche hinter jedem Busch Gefahr witterten - und nicht von den sorglosen Exemplaren, denn die landeten als erste auf dem Speiseplan des Säbelzahntigers. Diese Veranlagung ist prinzipiell noch immer in uns verankert und so haben wir eine Art natürlicher Tendenz zu Daueranspannung und Stress. Wir leben zudem in einer komplexen, schnelllebigen Umwelt mit einer riesigen Flut von Anforderungen und Informationen. Überforderung sowie emotionale Vernachlässigung sind an der Tagesordnung. Wir müssen uns "zusammenreißen", es existiert schließlich hoher Konkurrenz- und Leistungsdruck. Viele Menschen leben heute isoliert inmitten verwirrender Werte und krank machender Sozialstrukturen. So sind wir ständig auf der Hut; leiden an Nervosität, Sorgen, Anspannung, Schlaflosigkeit, Trauer, Aggressionen...
Über unsere Körperoberfläche hinaus existiert es eine Art erweitere Grenze, ein feinstoffliches Energiefeld. Diese subtile Aura umfasst individuelle Stimmungen, Schwingungen, unsere ganz spezielle Ausstrahlung und Sensitivität. Auch wenn dafür kein Beweis bemüht werden kann, so hat doch fast jeder Mensch ein natürliches Gefühl für den erweiterten Raum und die individuelle Belastbarkeit oder Tagesform des Anderen. Nicht immer werden diese Grenzen respektiert; und so finden auch hier ständig aus unterschiedlichen Gründen subtile Übergriffe und emotionale Verletzungen statt, oft sogar unabsichtlich. Leider haben Lernfelder wie "achtsamer Umgang Miteinander" oder "gewaltfreie Kommunikation" wenig Raum in unserer leistungsorientierten Schule und Gesellschaft.
Verdrängung ist eine wichtige und wirksame Überlebensstrategie unseres Systems. Grenzverletzungen versinken ins Unterbewusstsein und geraten dort scheinbar in Vergessenheit. Doch mit dieser Amnesie haben wir den Schmerz keinesfalls aufgelöst. Unser System hat diesen tief im Körper gespeichert. Das äußert sich in unterschiedlichsten Beschwerden. Nicht immer muss es zu schweren Krankheitsbildern kommen. Oft zeigen sich auch „nur“ Symptome wie Verspannung, Kopfschmerz, Schlaf-, Ernährungs- oder Verdauungsprobleme etc. Wir sind blockiert, unsere Lebensqualität ist eingeschränkt. Ohne dass wir sagen könnten, woran es liegt, fühlen wir uns chronisch erschöpft, gereizt, energielos...
Gedankenkarussell: Viele Menschen "leben" im Kopf, kramen in Erinnerungen, machen Pläne, führen innere Dialoge und Betrachtungen im Geist. Ungünstig, dass wir unsere Gedanken allgemein eher in negative Richtung lenken (u.a. als evolutionäres Erbe, siehe Säbelzahntiger). Doch negative Gedanken ziehen uns emotional runter. Sie bewirken, dass negative Gefühle aufkommen. Was wir denken, fühlen wir - was wir fühlen, strahlen wir aus - was wir ausstrahlen, ziehen wir an. Haben wir eine sorgenvolle oder ärgerliche Ausstrahlung, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Mitmenschen irritiert oder abweisend auf uns reagieren und wir bekommen am Ende des Tages die Bestätigung: „mir wird nur übel mitgespielt“. Unser Herz verschließt sich, der Rücken verspannt und der Magen streikt. Man nennt es das Gesetz der Resonanz. Wäre es nicht schön, dieses Karussell käme mal etwas zur Ruhe?
Körper, Geist und Seele beeinflussen sich ständig, sind untrennbar miteinander verbunden. Es macht wenig Sinn, diese isoliert zu betrachten.
Wohlwollende, angenehme Berührungen sind nicht zuletzt aufgrund unserer gesellschaftlichen Sozialisation selten geworden. Wir sind befangen, bewerten, bezweifeln, blockieren. Oft erfolgen Berührungen mechanisch, achtlos, gar übergriffig oder sind an Bedingungen bzw. Absichten geknüpft.
Mein Anliegen: einander auf gute Weise begegnen - respektvoll, achtsam, ehrlich und offen.
Und so gute Berührung ermöglichen, körperlich sowie direkt im Herzen.